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Niemand tänzelt, niemand näselt

Nachruf auf Horst Brandt | 1938 - 2022



Der Herr Kriminaldirektor. Eine Anrede, als sei man in einen Erich Kästner-Roman geraten, in dem ein Kellner vor dem Gast tänzelt und näselnd sagt: Nehmen sie Platz, Herr Kriminaldirektor, ein Mokka, selbstverständlich, Herr Kriminaldirektor, während dieser auf dem weichen Teppichweg zu seinem Tisch andere honorige Titelträger grüßt.

Unsinn, Kästners Welt ist untergegangen, niemand tänzelt, niemand näselt, und ein Kriminaldirektor hat auch nicht von Kindesbeinen an alle Bequemlichkeiten des Lebens genossen. Horsts Vater war Friseur, seine Mutter Fischverkäuferin, sie bekamen vier Jungs und ein Mädchen und drängten sich in einer Kreuzberger Wohnung, bis sich die Eltern scheiden ließen. Der größte Unsinn aber wäre es, zu glauben, dass ein Kriminalbeamter mit düsterem Gesicht im Trenchcoat herumläuft, drei Minuten nach Auffinden der Leiche den Todeszeitpunkt erfährt und den wesentlichen Hinweis zur Lösung des Falls in der Stammkneipe erhält. Polizeiarbeit sieht anders aus als im Roman oder im Fernsehkrimi. Auch wenn sich Horst anfangs durchaus von derlei Bildern beeindruckt zeigte.


Man muss 27 sein, um bei der Kripo genommen zu werden


Als er noch Elektromechaniker lernte, was ihm überhaupt nicht zusagte, saß er am liebsten vor dem Radio und hoffte bei jeder Folge der Kriminalhörspielreihe „Es geschah in Berlin“, der Kommissar möge den Täter recht schnell finden, und sah sich von einem Fall zum nächsten selbst immer mehr in der Rolle des Ermittlers. Aber man musste 27 sein, um bei der Kriminalpolizei angenommen zu werden. Also ging er den Weg über die Bereitschafts- und Schutzpolizei, durchlief über die Jahre alle Dienstgrade, bis hinauf zum Kriminaldirektor.


Zunächst lernte er anzutreten, im Gleichschritt zu marschieren, mit der rechten Hand am Käppi zu grüßen, die Hacken zusammen zu knallen und Befehle mit einem lauten „Jawoll, Herr Hauptwachtmeister“ zu quittieren. Jeden Morgen müder Frühsport, ab halb acht Straf- und Prozessrecht, Verkehrs- und Polizeirecht, Ausbildung an der Waffe. Schon damals fiel Horst auf, dass sich niemand darum kümmerte, wie es denen ging, die jemanden im Einsatz erschossen hatten. Noch 1997 stand in der „Geschäftsanleitung zum Schusswaffengebrauch“ nichts über die Traumata, die so ein Schusswaffengebrauch erzeugen konnte. Woraufhin Horst sich mit Sozialbetreuern, Psychologen und Direktionsleitern zusammensetzte und eine Strategie entwickelte. Denn auch wenn juristisch jede Unschuld erwiesen ist, bleibt doch für den, der abgedrückt hat, die quälende Frage nach der inneren Schuld. „Das hast du gut gemacht, ich hätte genau so gehandelt“, sagen Kollegen zum Trost. Doch jemand ist gestorben, weil ein anderer geschossen hat, egal ob in Notwehr, oder um eine Geisel zu befreien. Nichts daran ist gut.


Mordkommission, Führungsakademie, Terrorismusbekämpfung...


Das alles kam später, jetzt hatte Horst erst einmal die Grundausbildung hinter sich gebracht und wurde Wachtmeister. Es folgten weitere Prüfungen auf der Polizeischule, endlich die Arbeit als Kriminalbeamter, die Mordkommission, der Wunsch, weiter zu kommen, die Polizeiführungsakademie, Terrorismusbekämpfung, wieder Mordkommissionen, Leiter des Referats „Delikte am Menschen“. Es gäbe Dutzende Fälle zu berichten, von Delinquenten, die mit Händen und Füßen versuchten, sich dem Zugriff zu entziehen, von Tätern, die die Tat bis zum Ende leugneten, von dem Einbrecher, der, als Horst ihn bat, ihm auf die Dienststelle zu folgen, erklärte: „Ick wollte sowieso mal wieder ande frische Luft und bei euch war ick ooch schon lange nicht mehr.“ Damals war Horst noch Wachtmeister, und der Spaßvogel sprach ihn fortwährend mit „Herr Hauptkommissar“ an. Horst ermittelte, als 1983 eine Sprengladung im „Maison de France“ detonierte, befasste sich mit den Anschlägen 1986 auf die Deutsch-Arabische Gesellschaft, half einen Serienbrandstifter zu überführen, war fassungslos, wenn es um Kindesmisshandlungen ging.


Nachdem er seine erste Leiche gesehen hatte, bekam er tagelang das Bild nicht aus dem Kopf und den Gestank nicht aus der Nase. Er benachrichtigte zum ersten Mal einen Menschen vom Tod eines Angehörigen. Das war das Schlimmste. Die Trauer, die manchmal zur Krankheit wird. Die finanziellen Schwierigkeiten, die verständnislosen Kollegen, das immer tiefere Loch, in das Hinterbliebene stürzen. Horst begriff, dass man sich kümmern muss, um die Angehörigen der Opfer und auch um die Beamten, die tagaus, tagein mit der Gewalt konfrontiert sind. Obwohl er aus der Kirche ausgetreten war, weil ihn der Umgang mit den Leuten, das Geschacher um Positionen, das redenreiche, aber tatenlose Rumgesitze ärgerte, begründete er 1995 zusammen mit Pater Vincens, der Gefängnisseelsorger in Tegel war, die Notfallseelsorge. Nach dem Mauerfall baute er den Katastrophenschutz auf, koordinierte die Arbeit von Feuerwehr, Rettungskräften, Polizei, Gerichtsmedizinern und Ärzten. Was eine große Rolle bei der Spurensicherung spielte: Der Arzt soll wissen, dass ein blutverschmiertes Kleidungsstück der Polizei übergeben werden muss.


Und neben seinem Beruf? Etwas, das durchaus in Fernsehkrimis thematisiert wird, ist ganz und gar kein Unsinn: die familienunfreundliche Seite der Sache. So auch bei Horst: zwei Ehen, zwei Scheidungen, nicht genug Zeit für die beiden Kinder. Mit seiner dritten Frau, Ilona, allerdings wurde es anders. Vielleicht, weil Ilona selbst Leiterin einer Mordkommission war.


Horst starb am 9. September an einem Hirntumor. Alles ging rasend schnell, die Diagnose lag nur zehn Monate zurück. Auf jeden Fall wollte er ein großes Aufheben vermeiden. Keine Riesenabordnung der Polizei am Grab, keine aufgebauschten Reden. Entscheidend war, dass Ilona bei ihm war, diese ganzen langen, letzten zehn Monate über.


Tagesspiegel am 23. Januar 2023


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